Raus aus der Reizüberflutung: Angeln, Ruhepol für autistische Menschen

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Raus aus der Reizüberflutung: Angeln, Ruhepol für autistische Menschen

Zweiter April. Ein Kalenderblatt, das uns an eine tiefgreifende Entwicklungsstörung erinnert, an der weltweit nach Schlätzungen der UNO etwa 67 Millionen Menschen leiden: Autismus. Der Welt-Autismus-Tag steht ganz im Zeichen gesellschaftlicher Sensibilisierung. Seit 2008 wird der 2. April (und oft eine ganze Programmwoche) weltweit im Zeichen des Autismus gestaltet.

Foto: Peter Burdon

Inklusive Bildung als Fokus

Dieses Jahr steht besonders Chancengleichheit bei der Bildung im Mittelpunkt: gerade Kinder mit Autismus wurden durch die Pandemie stark benachteiligt. Autistische Menschen nehmen die Welt und ihre Mitmenschen anders wahr. Und das ein ganzes Leben lang. Autismus kann nicht „geheilt“ werden. Vielen Menschen ist das nicht bewusst.

Was ist Autismus? (Was nicht?) Eine kurze Definition

Die Autismus-Spektrum-Störung (ASD) oder schlicht Autismus sind offizielle Bezeichnungen für eine Reihe komplexer Entwicklungsstörungen, die soziale Fähigkeiten, sprachliche und nonverbale Kommunikation sowie alltägliche Verhaltensweisen beeinträchtigen. Autismus wird oft mit ADHS in einen Topf geworfen. Dabei handelt es sich bei ADHS um eine Aufmerksamkeitsstörung, die nicht auf der Autismus-Skala steht. Das Asberger-Syndrom hingegen ist eine Störung des Autismus-Spektrums, kann aber sehr subtil sein und wird aus diesem Grund oft nicht diagnostiziert. In den letzten Jahren hat die Öffentlichkeit viel über diese Erkrankungen gelernt. Es gibt eine breite Palette an Organisationen, die gerade auch für autistische Kinder da sind. Ziel ist es, eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen mit Autismus ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Wie aber lässt sich dieser Wunsch praktisch umsetzen?

Foto: JamJoh

Ganz oben auf der Liste: Verständnis und Akzeptanz

Erwachsene, von Autismus betroffene Menschen sind nicht in eine Lebenswirklichkeit integriert, die für andere selbstverständlich ist. Menschen mit Autismus sind vielfach von Arbeitslosigkeit betroffen. Aus diesem Grund hat Autism Europe das Bewusstsein für Autismus geschärft. In einem Bericht aus dem Jahr 2014 („Autism and Work: Together We Can") stellte Autism Europe fest, dass die Arbeitslosenquote in Europa bei etwa zehn Prozent lag, während die Quote für erwachsene Autisten sieben- bis neunmal höher war. Nicht nur aus diesem Grund sind Gesellschaften aktiv gefordert, Menschen mit Autismus Brücken der Akzeptanz zu schlagen, um ihren individuellen Alltag zu verbessern. Auch die amerikanische Organisation Autism Platform hat es sich zum Ziel gesetzt, die Chancen von Menschen mit Autismus auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Lärm, Trubel, helles Licht: Trigger eliminieren

Die Auswirkungen des Autismus sind vielfältig. Sie können körperlicher und nicht-körperlicher Natur sein, einschließlich verzögerter Sprach- und Bewegungsfähigkeiten, Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit sowie Epilepsie und Krampfanfällen. Infolgedessen können autistische Menschen Schwierigkeiten haben, zu kommunizieren und zu interagieren; es kann ihnen schwer fallen, sich in die Gefühle und Gedanken anderer einzufühlen. Ängste können ausgelöst werden durch unbekannte, überfüllte oder laute Umgebungen. Solche Umgebungen können bei Autisten eine Stressreaktion hervorrufen.

Was hilft?

Foto: K. Malik

Foto: Sasint

Die britische National Autistic Society hat auf ihrer Website eine simple, effektive Einstelloption mit Blick auf den Farbmodus, um helle, grelle Farben zu dämpfen. Das ist ein gutes, kleines Beispiel dafür, wie durch Achtsamkeit und simple Anpassungen die Lebenswirklicheit von Menschen mit Autismus gezielt verbessert werden kann.

Angelns und Autismus – eine Annäherung

Angeln hat eine ausgeprägt humane Seite. Angeln verbindet. Angeln macht Mut. Angeln ist barrierearm. Angeln bringt Mensch und Natur zusammen. Angeln beruhigt. Angeln fördert Geduld. Angeln funktioniert generationsübergreifend. Angeln basiert auf Wiederholung und Perfektionierung von Abläufen. All diese Attribute passen in das Schema des Supports für Menschen mit Autismus. Das Feld des Angelns bietet ferner ein wunderbar breites Spektrum an Optionen, sich zu engagieren.

Angeln ist für alle!

Foto: Natureworks

Es gibt professionelle Angler, die angelnd ihren Lebensunterhalt verdienen; es gibt diejenigen, für die das Angeln einer Lebenseinstellung gleichkommt; und es gibt diejenigen, für die – vereinfacht formuliert - ein Korken, eine gebogene Stecknadel und ein Wurm, der in einem Kanal baumelt, das einfachste, schönste Vergnügen der Welt darstellt. Gerade der Inklusionsgedanke ist auch im Kontext von Autismus wichtig.

Der Mix machts: Angeln bietet Ruhe und Aktivität

Foto: Lum3n

Menschen mit Autismus fühlen sich zum Angeln hingezogen, weil Ruhe, Konzentration, natürliche Farben und Geräusche im  Vordergrund stehen. Angeln bietet eine optimale Balance zwischen Ruhe und Aktivität. Viele Angelaktivisten engagieren sich auf Organisationsebene, insbesondere in den USA, wo Angler seit Jahren autistischen Kindern den Wert ihres Sports vermitteln. Autism Anglers ist eine Organisation, die sich "Bewusstsein und Akzeptanz für Autismus durch den Angelsport" auf ihre Fahnen geschrieben hat. Autism Anglers verkauft T-Shirts, Tassen und andere Fanartikel, organisiert Verlosungen und sammelt Spenden, um unermüdlich über Autismus aufzuklären und Angelgeräte auf direktem Weg in die Hände autistischer Kinder zu geben, die davon auf vielen Ebenen enorm profitieren.

Viele bunte Fische – die Aquarium-Therapie

In vielen Schulen und Kindergärten, Krankenhäusern, Kinderarztpraxen und anderen Einrichtungen, die sich proaktiv mit Autismus auseinandersetzen, steht ein Aquarium. Das Betrachten der Fische führt nachweislich zur Fokussierung auf etwas Schönes, es beruhigt, senkt den Blutdruck und nimmt Ängste. Es muss nicht immer der Streichelzoo sein: Fische als Haustiere sind eine exzellente Idee. Auf der französisch-schweizerischen Online-Plattform Firah können Lehrerinnen und Lehrer ein Training absolvieren, um sich besser auf Kinder mit Autismus einstellen zu können.

 

Der Zebrafisch zeigt den Weg

Wiederholte Forschungsarbeiten mit Fokus auf Zebrafische helfen weltweit, Autismus besser verstehen zu lernen – insbesondere was die Bereiche Schlaf- und Wachmodus sowie die charakteristische Lärmempfindlichkeit autistischer Menschen betrifft. Zahlreiche Organisationen machen mit Spenden solche wegweisende Forschungsarbeit erst möglich zu machen und Wissenschaftler mit der Angel loszuschicken.

Symbolfarbe Blau, stille Stunde beim Shoppen

Foto: Sergi Marlo

Wer Menschen mit Autismus helfen möchte, sollte die Dinge so einfach und schlicht wie möglich halten. In der Farbsymbolik Blau steht für einen kühlen Kopf, für Emotionen, das Geistige, für Friedfertigkeit, Ruhe, Sanftmut und Ausgleich. Interessant ist allerdings, dass nicht alle Betroffenen den symbolhaften Charakter der Farbe Blau im Kontext von Autismus als eine gute Wahl sehen – die Philosophien gehen hier auseinander.

Klarheit, Ruhe, Gelassenheit

In vielen Ländern, darunter die Vereinigten Staaten und die Schweiz, werden zum Welt-Autismus-Tag öffentliche Gebäude und Sehenswürdigkeiten auch dieses Jahr blau angestrahlt. Im Einzelhandel gehen viele Shops auf der Grundlage von Forschungserkenntnissen dazu über, sogenannte „Stille Stunden“ und mit milden Farben ausgeleuchtete Ruhezonen zu schaffen, um autistischen Menschen eine Alternative zur permanenten Reizüberflutung (Musik, viele Menschen, grelle optische Effekte) anzubieten. Klarheit, Ruhe, Gelassenheit sind Gamechanger!

Das Bewusstsein für Autismus rückt in den Medien immer mehr in den Vordergrund. Informieren Sie sich über Aktivitäten in Ihrer Region:

Im Vereinigten Königreich können Sie sich an die National Autistic Society wenden.

Für Deutschland: Autismus Deutschland e.V. – hier finden Sie auch Programmpunkte zum Welt-Autismus-Tag 2022 in Deutschland

Für die Niederlande: Nederlandse Vereniging voor Autisme (NVA)

Auf der Seite von Autism Speaks finden Sie Links zu Dutzenden von Autismus-Gesellschaften auf der ganzen Welt

Die Seite der United Nations: Welt-Autismus-Tag

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