Kulturelles und Kulinarisches rund um Coarse Fish: in welchen Pfannen landen Karpfen?

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Kulturelles und Kulinarisches rund um Coarse Fish: in welchen Pfannen landen Karpfen?

Einer Fragestellung wie dieser würde man auf britischen Straßen wohl mit gerunzelter Stirn oder aber einem fragenden Blick begegnen: Coarse fish? Eat… coarse fish!? Fische, die sich ausschliesslich von Plankton und Insektenlarven ernähren? In Europa hingegen würde niemand diese Frage überhaupt erst stellen. Kontinentaleuropäer essen nach wie vor Fische, die britische Angler nur im Kontext ihres Sports fangen. Liegt es daran, dass das Meer für viele Menschen auf dem Kontinent weit entfernt scheint? Immerhin ist kein Ort im Vereinigten Königreich mehr als 110 Kilometer vom Meer getrennt. Oder aber hängt es damit zusammen, dass die Verarbeitung von Fisch United Kingdom zu einer Nation gemacht hat, die sich von lasergeschnittenen Scheiben gefrorenen Fisches ernährt?

In vergangenen Zeiten aß die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs sogenannten Grob- oder Friedfisch, beispielsweise Karpfen, Hecht oder auch Plötze. Wie die britische Expertin Olga Hughes zeigt, standen auf dem Speiseplan Heinrichs VIII. alle Arten von Meeres- und Süßwasserfischen. Die armen Leute um ihn herum hingegen begnügten sich hingegen mit Fisch, den sie aus Flüssen und stillen Gewässern ziehen konnten. Tatsächlich verspeisten die Tudors eine weitaus größere Vielfalt an Meeres- und auch Süßwasserfischen als heutige Briten - darunter Schweinswale, Karpfen, Neunaugen, Brassen, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Hecht und Barsch und Co - Mittelengland, Mitteldeutschland einst auf gleicher Welle 

In Deutschland liegen die Metropolen Frankfurt und München über 500 bzw. 800 Kilometer von der Nordsee entfernt. In der Vormoderne war es den Menschen in diesen mitteleuropäischen Regionen nicht möglich, den Geschmack für Kabeljau, Schellfisch und Scholle zu entwickeln, den die Briten haben. In diesen frühen Zeiten aßen die Arbeiter und Kleinbauern in Mitteldeutschland und Mittelengland jedoch die gleichen Fische: Hecht, Barsch, Plötze, Rotfeder, Schleie, Brasse und Karpfen sowie Fische, die in ihren jeweils  eigenen, lokalen Gewässern heimisch waren. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste man in beiden Nationen nicht nur mit dem Boot aufs offene Wasser hinaus fahren, sondern auch in Teichen fischen sowie Netze in Flüssen und Seen auswerfen. Angelruten gehörten zum Standardwerkzeug der Menschen, die - man erinnere sich - freitags im Kontext der Religiosität Fisch essen mussten. 

Heute kann man bei einem Angelausflug in Deutschland den Tag mit ein paar Bierchen und einer Kostprobe des erbeuteten Fisches ausklingen lassen. Lust auf gebratenen Barsch oder Hecht? Wie wäre es mit knusprigen Filets - vom Zander statt vom Kabeljau oder Schellfisch? Diese Spezialitäten finden sich in vielen traditionellen deutschen Restaurants, vor allem in direkter Nähe von Gewässern. Natürlich isst man im Norden Deutschlands den Seefisch, den auch die Briten kennen und schätzen; darüber hinaus ist dort aber auch Hering weitaus populärer als im Vereinigten Königreich.

Ein Küchenhit von Frankreich bis Polen - der Karpfen

Die Kontinentaleuropäer haben nie aufgehört, Süßwasserfisch zu essen. Karpfen wird von Frankreich bis Polen und weit darüber hinaus gerne genossen. In einem faszinierenden Blog rühmt Nick Weston die Vorzüge des Verzehrs von ‘Coarse Fish’. Er macht eine Reihe von Faktoren für das Aussterben dieser fischreichen Kost verantwortlich: die Einschätzung,  dass diese Fische schlammig und knochig seien; die verbreitete Furcht, dass der Verzehr von Grobfisch illegal sei; und natürlich auch die Konzentration auf die sportlichen Aspekte (Jagd, Auslegen von Netzen). Manchmal verbieten Vereine, die zugleich Eigentümer von Gewässern sind, die Entnahme von Besatzfischen. Im Vereinigten Königreich zählen zu den Top Süßwasser-Speisefischen der Lachs und die Forelle. Kein britischer Angler würde es sich nehmen lassen, diesen Fang sein eigen zu nennen, vor allem im Kontext teurer Lizenzen. Britische Angler dürfen ferner eine bestimmte Anzahl von Fischen mit nach Hause nehmen, sofern die jeweiligen Eigentümer der Gewässer damit einverstanden sind. 

 

Heute zeigen Briten dem Friedfisch die kalte Schulter

Mit Blick auf das Vereinigte Königreich liegt die eigentliche Ursache für den Rückzug des Grobfisches aus den Küchen wesentlich in zwei Faktoren begründet: verbesserte Transportmöglichkeiten, die es heute ermöglichen, größere Mengen Seefisch schnell ins Landesinnere zu neuen Märkten zu transportieren, sowie im 19. Jahrhundert die Durchsetzung des Begriffs "grob" für alles ausserhalb der Kategorie “Raubfisch”. Ein großer Teil der Antwort ist ferner dem britischen Klassensystem geschuldet.

Taking Stock, die Regeln der Umweltbehörde für die Entnahme von Fischen aus Binnengewässern: https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ukgwa/20140328084622/http://www.environment-agency.gov.uk/static/documents/Leisure/Taking_Stock_-_web_-_English.pdf

Olga Hughes, 'A Tudor Fish Day Menu', Nerdalicious, https://nerdalicious.com.au/history/a-tudor-fish-day-menu/

Wilson, C. Anne, Essen und Trinken in Großbritannien: From the Stone Age to Recent Times (London: Penguin, 1984).

Nick Weston, "Der Kampf um Süßwasserfische", Guardian, 17. Januar 2011.

https://www.theguardian.com/lifeandstyle/wordofmouth/2011/jan/17/freshwater-fish-fight

 

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